Die Realität zu deinen Gunsten verändern.

Es ist 6.30Uhr und du bist kurz davor, deine mündliche Abschlussprüfung zu haben. Du musst einen 30-minütigen Vortrag halten – eine Prüfung, die über dein Zeugnis entscheiden wird. Du bist mehr als nur angespannt, deine Herzfrequenz beschleunigt, deine Muskeln angespannt und dein Blut mit Stresshormonen vollgepumpt. Jetzt herrschen bei dir Stress und Angst. Du weißt, dass du rechtzeitig vor deiner Präsentation mental und physisch Fit sein musst, doch dir bleiben nur wenige Minuten.

Ich selber kenne diese Situation. In meinem Bachelor und Master Studium hatte ich immer wieder entscheidende Situationen und Prüfungen, welche mich um meinen Schlaf gebracht haben. Ich liege wach im Bett, am nächsten Tag steht eine Präsentation an.

Plötzlich kam mir die Technik in den Sinn, mit der man die Realität neu formuliert. Auch wenn ich es damals noch komisch fand, dachte ich, dass ich sowieso nichts mehr zu verlieren hatte. Also setzte ich mich an den Schreibtisch, holte mein Journal raus und fragte mich: Wenn nun diese unselige, quälende Erfahrung genauso, wie sie ist, absolut richtig wäre – die Schlaflosigkeit, das schlechte Gefühl, die Tatsache, dass dies ausgerechnet in der Nacht vor einer anspruchsvollen Aufgabe passiert –, wie könnte das, was ich hier gerade durchmache, am Ende zu meinem Besten führen?

Auch wenn ich erst lange überlegen musste kamen mir irgendwann die ersten Antworten. Ich fing an zu schreiben: Was ist, wenn ich die Sache morgen doch gut hinbekomme und die Erfahrung mitnehmen kann, dass ich mich selbst nach einer schlaflosen Nacht und voller Angst, gut schlagen kann.

Vielleicht erweist sich diese Herausforderung später einmal, wenn ich mich unter noch viel größerem Druck befinde, als entscheidendes, hilfreiches Schlüsselerlebnis. Dann bin ich wahrscheinlich dafür dankbar, dass ich auf diese unangenehme Erfahrung, in der ich gerade stecke, zurückblicken kann.

Zunächst erschienen mir das alles wie ein Selbsttäuschungsversuch. Doch indem ich alles aufschrieb, öffnete ich für mich ein winziges Fenster der Hoffnung. Und so schrieb ich weiter alle möglichen positiven Aspekte dieser Erfahrung auf. Darin malte ich mir die Veranstaltung am nächsten Tag in allen Einzelheiten plastisch aus, um sie möglichst greifbar erscheinen zu lassen: Ich notierte, was ich sagen, wie die Prüfer aussehen, wann und wie die Leute während meines Vortrags nicken oder lachen würden. Während meine Liste immer länger wurde, spürte ich, wie meine Nervosität nachließ. Irgendwann ging meine Ruhe in Schläfrigkeit über, ich legte mich wieder hin und – badabam! – schlief ein, wenn auch nur für kurze Zeit.

Und was geschah am nächsten Tag? Bis ins letzte Detail traf alles ein, was ich mir in der schlaflosen Nacht zu meiner Präsentation notiert hatte. Der Vortrag war geil, die Prüfer begeistert.

Warum funktioniert das?

Die bewusste Entscheidung, sich einen Vorfall anders auszulegen (kognitive Neubewertung), reduziert nachweislich das Stressniveau im Gehirn. Das wurde an der Stanford University mithilfe der Kernspintomografie bewiesen. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass es bedeutend wirkungsvoller und gesünder ist, Stress auslösende Erfahrungen umzudeuten, als zu versuchen, die Emotionen zu unterdrücken und zu ignorieren.

Die Technik, die Realität umzuschreiben oder neu zu bewerten, habe ich in einem Buch kennengelernt und hilft mit ständig im Alltag besser mit Situationen umgehen zu können.

»Ich fasse einfach den Entschluss, alles zu meinen Gunsten auszulegen. Ich bin nicht einfach nur optimistisch, sondern wühle mich genüsslich in der Selbsttäuschung.«

Weshalb geht diese Rechnung auf? Einmal mehr können wir uns bei der Neigung unseres Gehirns bedanken, Vorstellungen als real zu akzeptieren. Die Harvard Medical School fand mithilfe einer Studie heraus, dass der Placeboeffekt noch nicht mal notwendigerweise von der Täuschung abhängig ist, er kann sogar dann seine wundersamen Kräfte entfalten, wenn derjenige genau weiß, dass es sich um ein Placebo handelt.

Wenn du also mit einer schwierigen Erfahrung konfrontiert bist, versuche nicht, deine inneren Spannungen zu unterdrücken oder zu ignorieren, sondern beschäftige dich mit alternativen Versionen der Wirklichkeit. Denke dir ein paar Szenarien aus, die dich in einen konstruktiveren mentalen Zustand versetzen.

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